Der europäische Binnenschifffahrtssektor hat mit einem starken Fachkräftemangel zu kämpfen. Dies könnte die ehrgeizigen Ziele einer Verkehrsverlagerung auf den Verkehrsträger Wasserstraße gefährden. Vor diesem Hintergrund veranstaltete die ZKR einen Workshop zur Reflexion über den Arbeitsmarkt und dessen Attraktivität. Der Workshop fand am Donnerstag, dem 14. März 2024, in Straßburg und online statt. Zu den Teilnehmern gehörten Vertreter der ZKR-Mitgliedstaaten, anderer europäischer Staaten, der Europäischen Kommission, internationaler Organisationen, die ein Interesse an der Binnenschifffahrt haben, und des Gewerbes (Sozialpartner und Ausbildungseinrichtungen). Ziel war es, anhand statistischer Daten und der in Europa ergriffenen Maßnahmen einen Überblick über die derzeitige Situation zu gewinnen. In einer partizipativen Diskussion waren die Teilnehmer zudem aufgefordert, über neue Ideen zur Bewältigung des Fachkräftemangels nachzudenken.
In Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission stellt die ZKR derzeit ihren zweiten Bericht zum Arbeitsmarkt fertig. Als wichtigste Trends werden darin u. a. die Alterung der Arbeitskräfte, die Arbeitsmigration (von Ost nach West) und der Fachkräftemangel genannt. Im Güterverkehr ist der Beschäftigungstrend von 2008 bis 2021 relativ stabil geblieben. Die Alterung der Arbeitskräfte erfordert jedoch verstärkte Anstrengungen, um die Attraktivität der Binnenschifffahrt zu steigern. Im Fahrgastverkehr hatte die coronabedingte Gesundheitskrise spürbare Auswirkungen auf die Zahl der Beschäftigten. In Deutschland beispielsweise sank diese Zahl zwischen 2019 und 2020 um rund 1800 Personen. Das Segment erwies sich gleichwohl als widerstandsfähig. So nahmen die Neueinstellungen in den Jahren 2021 und 2022 zu, was die allmähliche Erholung der Branche widerspiegelt.
Um den hohen Personalbedarf zu decken, wurden in den ZKR-Mitgliedstaaten in den letzten Jahren umfangreiche Maßnahmen ins Leben gerufen. Da der finanzielle Aspekt ein motivierender Faktor sein kann, wurden z. B. Programme zur Finanzierung der Lehrlingsausbildung und Weiterbildung aufgelegt. Über eigens eingerichtete OnlineInformationsplattformen (Ahoi Captain, Acteurs du fleuve, Wereld van de binnenvaart, Are you waterproof usw.) sowie über spezielle mobile Anwendungen (Wilbi) kann ein breites Publikum angesprochen werden. Zusätzlich werden regelmäßig Informationsveranstaltungen, Schnuppertage zur Erkundung der Binnenschifffahrt und Tage der offenen Tür in Binnenschifffahrtsunternehmen oder Schulen durchgeführt. Weitere Kommunikationsträger, wie z. B. Videos, Virtual-Reality-Brillen, Unterrichtsmaterialien für alle Altersgruppen oder interaktive Quizze, ergänzen diese vielfältigen Initiativen. Einige Mitgliedstaaten haben auch regelrechte Strategien und Arbeitsgruppen ins Leben gerufen, um über das Arbeitskräfteproblem kontinuierlich nachzudenken.
Die genannten Maßnahmen werden von allen Akteuren der Binnenschifffahrt getragen, seien es Ministerien, Berufsverbände, Ausbildungseinrichtungen, Binnenschifffahrtsunternehmen oder Sozialpartner (z. B. Gewerkschaften), und zielen auf ein sehr breites Publikum ab: Kinder, junge Studierende, Eltern, Quereinsteiger oder ganz allgemein die interessierte Öffentlichkeit.
Die europäische IWT Platform stellte ihre internationale Initiative „Branding & Recruitment“ vor. Diese hat zum Ziel, angesichts des Fachkräftemangels in der Binnenschifffahrt nach kurz‑, mittel- und langfristigen Lösungen zu suchen. Dazu sollen insbesondere die in der EU und auf nationaler Ebene ergriffenen Maßnahmen bewertet, die für den Personalmangel verantwortlichen Faktoren analysiert und eine spezielle Rekrutierungskampagne entwickelt werden.
Diese und weitere Initiativen anderer europäischer Staaten können auf der Website der ZKR abgerufen werden. Die Bandbreite an möglichen Maßnahmen kann allen europäischen Ländern und Stakeholdern der Schifffahrt als Inspirationsquelle dienen.
Trotz der bereits ergriffenen Maßnahmen bleiben die Beschäftigungsprobleme in der Binnenschifffahrt weiterhin akut. Alle Akteure sind sich einig, dass dringend etwas getan werden muss, um diese Probleme zu lösen. Die Rekrutierungsstrategien müssen sowohl auf junge Menschen in der Erstausbildung als auch auf Quereinsteiger mit unterschiedlichsten Profilen (Seeleute, Arbeitslose, Menschen aus allen europäischen Ländern – auch solchen ohne Binnenschifffahrt usw.) abzielen.
Neben der Attraktivität des Sektors ist auch die „Bindung“ des auf Binnenschiffen tätigen Personals von entscheidender Bedeutung. Interessante Laufbahnen mit klaren Entwicklungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen, gute Arbeitsbedingungen und eine ausgeglichene Work-Life-Balance können insoweit nicht nur der Rekrutierung förderlich sein. Ein Pluspunkt der Binnenschifffahrtsberufe ist die Bezahlung, insbesondere auf der Führungsebene. Was die Ausbildung betrifft, so sollte weiterhin auf eine kontinuierliche Verbesserung der Lehrpläne und auf moderne Lehrmethoden gesetzt werden. Auch der Einsatz von Schulschiffen und/oder Simulatoren für die praktischen Prüfungen sind ein echter Pluspunkt für zukünftige Auszubildende. Nicht zuletzt kommt dem Gesetzgeber eine wichtige Rolle zu, um zeitgemäße, vereinfachte Regelungen zu treffen, die den Bedürfnissen des Sektors gerecht werden. Eine kürzere Ausbildung etwa würde die Binnenschifffahrtsberufe insbesondere auf der Betriebsebene für manche Jugendliche attraktiver machen. Auch die Anrechnung außerschulisch absolvierter Fahrzeiten (man denke z. B. an die Kinder von Binnenschiffern) wäre für den Sektor interessant. Weitere Aspekte, wie die Schaffung von Übergangsmöglichkeiten zwischen See- und Binnenschifffahrt oder die Harmonisierung von Praktikumsvereinbarungen auf europäischer Ebene, runden die Liste der Vorschläge ab.
Die Vor- und Nachteile der ferngesteuerten Schifffahrt wurden bei der Veranstaltung ebenfalls beleuchtet. Zwar stellt die Automatisierung für das Problem des Fachkräftemangels nicht die ultimative Lösung dar, doch bleibt das Thema wichtig, um insbesondere die Herausforderung der Verkehrsverlagerung zu meistern. Es gilt gleichwohl wachsam zu bleiben, um sicherzustellen, dass die auf Binnenschiffen ausgeübten Berufe durch die neuen Technologien nicht an Attraktivität verlieren.
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